Das Bürgergeldgesetz ermöglicht seit Juli 2023 das neue Förderinstrument für die ganzheitliche Betreuung (§ 16k SGB II). Somit sind ganzheitliche Beratungen und Begleitungen zu einer Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit geworden.
ganzheitlich.online möchte zunächst auf den Begriff der „ganzheitlichen Betreuung“ eingehen. Denn die Agentur für Arbeit und die zugehörigen Jobcenter definieren diese Betreuung nicht als das, was bisher in Deutschland über die Betreuung von Menschen geleistet wurde. So gehen die meisten zunächst von einer rechtlichen Betreuung aus. Diese hat aber nicht viel mit der Betreuung nach §16k gemeinsam und besitzt auch die gleiche rechtliche Bedeutung. Vielmehr versteht die Arbeitsagentur darunter eine ganzheitliche Beratung oder Begleitung, um den Teilnehmer der Maßnahme besser unterstützen, bzw. Hilfeleistung stellen zu können. ganzheitlich.online geht dabei immer davon aus, dass unsere ganzheitlichen Vorgehensweisen keine Abgrenzung zwischen dem Einen oder dem Anderen zulassen. In der Variante dieses Beitrags gehen wir allerdings von der Ansicht der Bundesagentur für Arbeit aus.
Aktuell wird bei der Umsetzung dieser Richtlinie nicht darauf geachtet, dass die Umsetzung wirklich im Sinne der Teilnehmer erfolgt. Vielmehr werden erneut große Träger, wie z. B. AWO Schleswig-Holstein oder GSM, mit der Wahrnehmung ganzheitlicher Unterstützung beauftragt.
Träger, wie die genannten, sind derzeit dem unternehmerischen Erfolg hin orientiert und nicht auf die voll umfängliche Unterstützung der Leistungsempfänger. Wie soll ein Unternehmen, welches den eigenen „Fachkräften“ zunächst die eigenen Strukturen vorgibt, eine ganzheitliche Beratung, bzw. Begleitung oder Betreuung für einen Menschen übernehmen? Bisher haben besonders die großen Trägergesellschaften in Deutschland immer wieder klar aufgezeigt, dass die Beauftragungen durch die Jobcenter eher einer quantitativen Abwicklung hin orientiert waren. Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen bei großen Trägerstrukturen, aber das sind leider nur meist nur individuelle Ausnahmen. Die meisten anderen großen Träger sind, wie z. B. ein Konzern, am unternehmerischen Erfolg interessiert.
Eine Stellungnahme der Geschäftsleitung der AWO Schleswig-Holstein gGmbH war hierzu sehr eindrucksvoll. So ist demnach die gemeinnützige Firmierung, welche durch das kleine „g“ vor GmbH symbolisiert wird, rein aus steuerlichen Gründen gewählt, nicht aufgrund einer gemeinnützigen Orientierungen. Die gleiche Geschäftsleitung hatte sich auch bei Google-Maps, bis zu einem Hinweis eines externen Wettbewerbers, als Behörde beschrieben. Die meisten dieser großen Trägerstrukturen verfügen mit ihren Strukturen noch nicht über die Möglichkeit ganzheitliche Beratungen und Begleitungen anbieten zu können, aber die großen Träger sind derart gut in Wirtschaft und Politik vernetzt, dass diese dennoch zu den hauptsächlich geförderten Unternehmen in diesen Arbeitsbereichen zählen. Einige Behörden arbeiten sogar ausschließlich mit derartigen Trägern zusammen – sogar, wenn dies rechtlich nicht so ganz einwandfrei ist. Dem ganzheitlich bedürftigen Menschen wird auf diese Weise leider kein qualitatives Angebot ermöglicht – eher im Gegenteil.
ganzheitlich.online möchte mit den Darstellungen in diesem Beitrag keine Wettbewerber oder generelle Träger für ganzheitliche Leistungen angreifen oder diskreditieren. Dafür ist diese Entwicklung für die Menschen in unserem Land viel zu bedeutend und die erfolgreiche, bundesweite Umsetzung viel zu wichtig. Nur ist die ganzheitliche Qualifikation und vor allem die damit verbundenen Erfahrungen etwas sehr individuelles. Unternehmerische Schablonen, bzw. feste Rahmen um diese tolle Möglichkeit zu spannen birgt die Gefahr der Verwässerung und Verzerrung der resultierenden Möglichkeiten. Die unternehmerische Umsetzung der bisherigen Förderungen zu den Themen des Coachings konnten wir bereits bei den genannten Trägern kennen lernen. Unsere Erfahrungen mit diesen Trägern waren derart einschneidend, dass wir entschieden haben, diese hier auch offen und ehrlich zu nennen.
Durch den Ganzheitlich-Paragraphen „16k“ wurde nun ein neuer Goldtopf gefüllt, an welchem sich die behördlich akkreditierten, bzw. zertifizierten Träger nähren können. Die Arbeitsagentur hat die Beauftragung, bzw. die Honorierung Einzelner, also kleinerer Anbieter, zunächst nicht berücksichtigt. Derartige Entscheidungen für die Vergabe an große und akkreditierte Unternehmen gehen von einer Art sozialwirtschaflicher „Special Forces“ der Arbeitsagentur aus, welche mit der Bewertung und Konzeptausarbeitung zu dieser Situation beauftragt werden. Unternehmen, wie z. B. GSM (große Trägergesellschaft aus Kiel), beschäftigen dabei ebenfalls spezielle Fachkräfte, welche sehr gut in den Bereichen der Arbeitsagentur und bei anderen Trägern vernetzt, bzw. auch darin effektiv ausgebildet sind, derartige Fördertöpfe für ihre Unternehmen nutzen zu können. Oft handelt es sich auch um ehemalige Mitarbeiter der Arbeitsagenturen. Es geht im Ergebnis nicht darum, die „ganzheitlichsten“ Leistungen anzubieten – es geht vielmehr darum, den Aufwand für Akquise, Verwaltung und Abrechnung so gering wie möglich zu halten, bezogen auf das gesamte Bundesgebiet.
Der Vertrieb rund um die Fördertöpfe in den Bereichen Coaching, Beratung, Begleitung und Training hat einen eigenen Wirtschaftsektor geschaffen, eine eigene Branche mit milliardenschweren Umsatzmöglichkeiten. Einige der großen Träger werben dabei auch längst mit systemischen Grundlagen und ganzheitlicher Orientierung – nur steckt nicht überall Coaching oder gar Ganzheitlichkeit drin, wo dies nach außen behauptet wird.
„Coaches und ganzheitliche Berater wachsen nicht an den Bäumen“…und entsprechend werden innerbetrieblich so genannte Life-Coaches, Job-Coaches etc. in eine Leistungsebene gehoben, welche nicht ansatzweise zu den Kompetenzen dieser Einzelbereiche des Coachings passt. Zwar kann ein umfassend ausgebilderter Coach, z. B. ein systemischer Coach, auch ein Life- oder ein Jobcoaching, auch ein Sozialcoaching oder beratende Funktionen anbieten, aber ein speziell ausgebildeter „Job-Coach“ hat diese umfassende Spezifikation nicht. Die Bedeutung des Coachings an sich wurde auch durch Politiker, wie z. B. Andreas Nahles, angegriffen und verwässert. Auch aktuell wissen die meisten politischen Kräfte, welche in dieser Materie eine Zuständigkeit übergeben bekommen haben, nicht ein Coaching von einer Beratung zu unterscheiden. Man könnte sagen, dass eine ganze Branche für politische und wirtschaftliche Ziele „missbraucht“ wird und einige dabei aus wirtschaftlichen, bzw. auch politischen Interessen mitmachen. Der Wert dieser Fachorientierung und der Tätigkeit an sich wird dadurch erheblich angegriffen.
Überall steht nun Coaching im Vordergrund, dabei passen solche Leistungsbeschreibungen, wie z. B. die eines Job-Coaches, nicht einmal zu dem, wodurch ein Coaching in seiner grundlegenden Bedeutung beschrieben wird. Es handelt sich meist eher um Fachberatungen und in einigen Fällen auch um Begleitung oder Betreuung. Oft schließt eine Begleitung sogar ein richtiges Coaching aus. Mit Ganzheitlichkeit hat dies erst einmal nicht viel gemeinsam. Nur sollte es nicht um die Begriffsdefinition pe se gehen, sondern um Lösungen für die Menschen, die Coachings, Beratung, Begleitung und/oder Training dringend brauchen.
Ein Zitat eines ehemaligen Mitarbeiters der Arbeitsagentur (Hannover): „Meine Großmutter würde mit ihrer Lebenserfahrung und entwickelten Menschlichkeit die meisten dieser so genannten Coaches ganzheitlich in die Tasche stecken. Es wäre mit Sicherheit sinnvoller, wenn man erfahrene Bürger mit der ganzheitlichen Begleitung und Betreuung beauftragen könnte, als immer wieder diese Trägerlandschaften mit dem Geld der Bürger zu füttern.“
Ein systemischer Coach ist durch seine Coachingausbildung und -Zertifizierung keine Ernährungsberatung, Begleitung im sozialen Kontext oder eine ganzheitliche Gesundheitsberatung erreichen – hierzu benötigt es umfassende Zusatzqualifikationen und vor allem anwendbare Erfahrungswerte. Möchte eine beruflich umfassend ausgebildete und zertifizierte Fachkraft die erlernten Fähigkeiten z. B. Kunden des Jobcenters anbieten und über die Fördermöglichkeiten des Gesetzgebers abrechnen, so muss er sich einem umfassenden Akkreditierungsverfahren unterziehen. Alternativ muss er eine Zusammenarbeit mit einem akkreditierten Träger eingehen und die jeweiligen Vorgaben der Trägerunternehmen beachten. Andernfalls müsste die jeweilige Person die Beauftragung des Coaches selbst finanzieren, was beispielsweise für Heranwachsende und Langzeitarbeitslose nahezu ausgeschlossen scheint.
Mittlerweile ist eine regelrechte „Trägerwirtschaft“ entstanden. In diesem Resultat der vergangenen Jahre steht bereits eine Schwemme von so genannten „Coaches“, welche per beruflicher Definition eigentlich nicht einmal Coaches sind. Leider ist der „Coach“ nicht rechtlich geschützt, so dass praktisch jeder sich Coach nennen darf. Viele so genannte Coaches werden nun auch ganzheitliche Aufgaben übernehmen, welche über den §16k seitens der Behörden resultieren – denn die bestehenden großen Träger haben erneut die Handhabe für die Umsetzung und den Leistungsempfang der staatlichen Mittel erhalten.
Die Akkreditierung, welche die Abrechnung derartiger Leistungen mit der Arbeitsagentur ermöglicht, ist für kleinere Strukturen nicht zumutbar. Der Aufwand ist unverhältnismäßig hoch, was sicherlich nicht zufällig so strukturiert ist. Künftig werden also zahlreiche Personen ganzheitliche Aufgaben für Menschen mit besonderen Hemmnissen und Belastungen anbieten, welche zu vielen dieser Aufgabenstellungen nicht ausreichend ausgebildet oder erfahren sind. Die Ausbildungen, z. B. zum Heilpraktiker psych., Job- oder Life-Coach etc., erreicht als alleingestelltes Berufsbild nicht die benötigten Qualifikationen.
Ein aktuelles Beispiel aus unserer täglichen Arbeit zeigt die Grenzen der heutigen Trägerwirtschaft:
Ein junger Erwachsener (20 Jahre alt) startet in eine Ausbildung. Mit seinen 20 Jahren hat dieser bereits eine eigene Wohnung. Kindergeld und ergänzende Leistungen wurden rechtzeitig beantragt. Dem jungen Menschen wurden die Strukturen des Sozialstaats, die Automatismen etc. in der Schule oder im Elternhaus nie erklärt. So kam es, aufgrund einiger „Missverständnisse“ zum Verzug in den beantragten Leistungen. Der Betroffene baute Mietrückstände und auch weitere Schulden auf, welche ca. seinem Leistungsanspruch entspricht. Im Laufe der Monate versuchte er selbst die Dinge zu regeln, aber die personelle Situation im Jobcenter und bei der Familienkasse sorgten für einen wachsenden Missmut, so dass der junge Mensch sich emotional zurückzog und verhäuft mit seinen Freunden Party machte. Seine Leistungen in der Ausbildung und seine Position in seinem sozialen Umfeld litten darunter erheblich, so dass dies auch zu entsprechenden Konflikten führte. Der junge Erwachsene konnte die Abläufe in den Behörden nicht verstehen und wurde immer mehr durch die Angst beeinflusst, dass er seine Wohnung und seine Existenzgrundlage in seinen Jungen Jahren verlieren könnte. Auch seine noch junge Beziehung litt erheblich darunter und drohte zu zerbrechen.
Diesem jungen Menschen haben wir einen ganzheitlichen Berater vermittelt. Dieser begann sofort mit seiner Arbeit und klärte zusammen mit dem jungen Menschen die Mietrückstände und die entstandenen Konflikte mit dem Vermieter und im privaten Umfeld. Der junge Mensch wurde umfassend aufgeklärt und konnte seine Probleme mit seinem Arbeitgeber eigenständig abbauen. Der Berater erreichte eine schnelle Bearbeitung bezüglich der bisher verwehrten Leistungen und eine umfassende Kommunikation im zuständigen Jobcenter.
Der ganzheitliche Berater ist in folgenden Bereichen umfassend ausgebildet und zertifiziert…
Wohnungswirtschaft, Energiewirtschaft, allgemeine Rechtslehre, Persönlichkeitsrechte, Behörenstrukturen und Strukturen des Gesundheitswesens, Psychologische Beratung, Systemische Beratungen (Coaching, Mediation, Familienberatung), Regeneration und Prävention (zu den Themen Bewegung und Ernährung), Schmerz- sowie Stressreduktion, Kommunikation mit Ärzten, Therapeuten, Rechtsanwälten etc., Anwengung der Datenschutzgrundverordnung, Poltische Struktur Deutschland, Medienstruktur Deutschland, Suchtberatung und weitere.
Dieser Berater musste seine Leistung kostenlos anbieten, da keine Akkreditierung und kein Agreement mit einem Träger besteht. Dabei wäre seine Beauftragung in dieser Sache ein Schnäppchen für den Steuerzahler, denn es würden für solche Fälle nur wenige Stunden abgerechnet werden müssen. Hingegen werden die Mitarbeiter der Träger auch in solchen Situationen im Normalfall für einen Zeitraum von mehreren Monaten beauftragt und vergütet. Es entsteht also zu Teilen auch ein Prinzip der überzogenen Honorierung, obgleich der benötigte Kompetenzrahmen nur in Einzelfällen gewährleistet wird.
Der „ganzheitliche Coach“, bzw. der ganzheitliche Berater betrachtet im Zuge der ganzheitlichen Betreuung die gesamte Lebenssituation des Leistungsberechtigten und bezieht psychologische, medizinische, sozioemotionale und somit auch strukturelle Aspekte des jeweiligen Umfelds mit ein. Dass diese Kompetenzen nicht den heute normalüblichen Berufbildern entspringen, ist für die meisten nachvollziehbar. Es braucht eine Phase der bundesweiten Entwicklung derartiger Berufsbilder – ein fester Rahmen drumherum birgt ein hohes Gefahrenpotential für derart soziale Berufe.
Diese Art der Förderung ist mittlerweile zu einem großen Geschäft geworden, welches in der Anwendung zuerst den Interessen des jeweiligen Trägers und seinen juristischen Strukturen hin orientiert ist. Kritische Mitarbeiter werden von großen Trägern meist sehr schnell vor die Tür gesetzt, während kleinere Unternehmen dieser Art solch kritischen Kräfte häufig konstruktiv in die eigene Struktur integrieren. Manchmal wird Kritik gerne angenommen, meistens wird aber versucht sich dieser zu entledigen – manchmal auch auf rechtlich sehr bedenkliche Art und Weise.
Der Anspruch auf eine Begleitung oder Betreuung gemäß des §16k ist nicht auf die Bereiche der Langzeitarbeitslosigkeit beschränkt, denn der Anspruch leitet sich aus dem Bürgergeldgesetz ab und betrifft generell auch andere soziale Hilfebereiche. Die Bundesagentur hält aber die Speerspitze für die erste Einordnung in ihren Händen.
Unser Netzwerk hat zu den vor genannten Entwicklungen zahlreiche Gespräche in den Strukturen der Arbeitsagentur geführt und konnten dem entnehmen, dass die Umsetzung über große Träger die Probleme meist nicht nachhaltig lösen und die Mitarbeiter sich in der Mehrzahl der Befragungen ein erheblicher Bedarf zu einer qualifizierteren Umsetzung der gesetzlichen Möglichkeiten wiederspiegelte.
Die Arbeitsagentur hat die Förderrichtlinie wie folgt gestaltet (Stand Juli 2023):