Eine Annäherung an einen überstrapazierten und doch essenziellen Begriff
Einleitung – Vom Modewort zum Menschheitsprinzip
„Ganzheitlich“ – ein Wort, das gleichermaßen Hoffnung wie Skepsis auslöst. Es prangt auf Teeverpackungen, in Wellnessbroschüren, auf Visitenkarten von Coaches und Heilpraktikerinnen. Oft verheißt es Tiefe – doch allzu oft bleibt es ein Werbesiegel ohne Substanz. Was also meinen wir wirklich, wenn wir von „ganzheitlich“ sprechen?
Die Idee ist nicht neu: Schon antike Mediziner, Mystiker, Philosophen und indigene Kulturen verstanden den Menschen nicht als isolierte Einzelstruktur, sondern als Teil eines größeren Zusammenhangs. Körper, Geist, Seele – und darüber hinaus: Beziehungen, Lebensumstände, Natur, Kosmos. Dieses Denken wurde im westlichen Kulturraum über Jahrhunderte fragmentiert. Heute kehren wir – nicht ohne Umwege – dorthin zurück. Doch: Was bedeutet „ganzheitlich“ wirklich – jenseits von Trend und Terminologie?
Historische Entwicklung – Ganzheitlichkeit im Rückspiegel
Der Begriff „Ganzheit“ (Holismus) wurde im deutschsprachigen Raum insbesondere durch den Südafrikaner Jan Christiaan Smuts (1926) geprägt, der Ganzheit als organisierendes Prinzip des Lebens beschrieb. Aber schon weit früher erkannten Philosophen wie Platon oder Paracelsus, dass die Betrachtung der Teile nur dann Sinn ergibt, wenn wir auch das Ganze begreifen – oder zumindest anzielen.
Die Medizin des Abendlandes entwickelte sich hingegen lange in Richtung Spezialisierung. Die moderne Schulmedizin, so wertvoll ihre Errungenschaften sind, konzentriert sich primär auf Symptome, messbare Parameter und standardisierte Therapien. Was dabei oft verloren geht: der Zusammenhang zwischen Körper, Psyche, sozialem Umfeld, innerem Erleben und spirituellen Fragen.
In fernöstlichen Kulturen wie dem Ayurveda, dem Daoismus oder der Traditionellen Chinesischen Medizin war und ist diese Verbindung nie abhandengekommen. Dort gilt Krankheit nicht als isoliertes Ereignis, sondern als Ausdruck gestörter Ganzheit.

Der Begriff des „Ganzen“ – Zwischen Philosophie, Physik und persönlicher Wahrheit
„Was ist das Ganze?“ Eine Frage, die gleichermaßen Physiker, Philosophen und Poetinnen beschäftigt.
- In der Quantenphysik verschwimmen Grenzen: Teilchen existieren nicht isoliert, sondern stehen in Wechselwirkung mit Beobachtenden.
- In der Systemtheorie (Luhmann, Bateson, von Foerster) gilt: Ein System ist mehr als die Summe seiner Teile – es hat emergente Eigenschaften.
- In der Philosophie sprechen Denker wie David Bohm, Ken Wilber oder Hannah Arendt von der Notwendigkeit, Zusammenhänge zu verstehen, um Verantwortung übernehmen zu können.
- In der Psychologie (z. B. Gestalttherapie, systemische Therapie, integrative Verfahren) bedeutet Ganzheit die Einbeziehung aller inneren und äußeren Erlebnisbereiche eines Menschen.
Was „das Ganze“ ist, bleibt dabei immer auch subjektiv: Meine Ganzheit ist nicht Deine. Für den einen liegt sie in der Natur, für die andere in der Familie, für einen Dritten im Glauben, im Beruf oder in der Balance zwischen all dem.
Ganzheitlichkeit in Medizin, Psychologie und Beratung – Definitionsversuche im Vergleich
Zahlreiche Institutionen und Fachbereiche versuchen, dem Begriff Struktur zu geben:
WHO (Weltgesundheitsorganisation)
„Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“
Ein ganzheitlicher Anspruch – doch in der Praxis klafft eine Lücke zwischen Ideal und Gesundheitsversorgung.
Integrative Medizin
Ein Zusammenspiel aus Schulmedizin und ergänzenden Verfahren (z. B. Mind-Body-Medizin, Akupunktur, Ernährung, Meditation) – mit dem Ziel, den ganzen Menschen zu behandeln.
Systemische Beratung
Hier bedeutet „ganzheitlich“ vor allem: kontextsensitiv zu arbeiten. Nicht nur das Individuum, sondern das ganze Beziehungssystem wird betrachtet – Familie, Beruf, Kultur, Sprache.
Ganzheitliches Coaching (z. B. nach ICI, IHK, DGfC etc.)
Viele Coaching-Verbände sprechen von ganzheitlichem Coaching, wenn alle Lebensbereiche (z. B. Körper, Psyche, Umfeld, Werte, Ziele) in die Betrachtung einfließen. Häufig wird auch auf spirituelle, kreative oder körperorientierte Methoden zurückgegriffen.
Doch auch hier gilt: „Ganzheitlich“ ist kein geschützter Begriff. Viele reden darüber – wenige leben es.
Ganzheitlichkeit in der Praxis – Orientierung statt Absolutismus
Eine der größten Gefahren im ganzheitlichen Denken liegt in der Überhöhung: Wer vorgibt, alles zu behandeln oder alles zu verstehen, verkennt die Begrenztheit menschlichen Wissens und Handelns.
Stattdessen braucht es Orientierung an Ganzheit, nicht deren absolute Behauptung.
Das bedeutet:
- keine Methode als alleinheilbringend ansehen,
- Komplexität aushalten,
- transdisziplinär denken (nicht nur interdisziplinär),
- subjektives Erleben ernst nehmen, ohne es zu verklären,
- mit Menschen auf Augenhöhe arbeiten – nicht über sie hinweg.
Zwischen Glauben und Wissen – Wo Ganzheitlichkeit Brücken baut
In vielen Diskursen treffen Glaube und Wissenschaft scheinbar unvereinbar aufeinander. Doch gerade die Ganzheitlichkeit kann eine Brücke sein:
- zwischen Körper und Seele,
- zwischen objektiven Daten und subjektiver Wahrheit,
- zwischen Ratio und Intuition.
Was wir für „ganz“ halten, ist oft eine Frage des Vertrauens: in uns selbst, in unsere Beziehungen, in größere Zusammenhänge. Ganzheitlichkeit fordert uns heraus, Verbindung zuzulassen, wo andere trennen.
Was nicht ganzheitlich ist – Eine notwendige Abgrenzung
Nicht alles, was sich ganzheitlich nennt, ist es auch. Beispiele für häufige Missverständnisse:
- Einseitige Heilsversprechen („Heile deine Kindheit in drei Sitzungen“)
- Esoterischer Dogmatismus ohne wissenschaftliche Grundlage
- Pseudoganzheitlichkeit, die sich z. B. nur auf spezielle Behandlungen des Körpers oder auf Ernährungthemen beschränkt
- Kommerzialisierte Spiritualität mit meist hohem Preis und niedrigem Tiefgang
Echte Ganzheitlichkeit bedeutet nicht Grenzenlosigkeit, sondern die bewusste Arbeit an den Grenzen – und darüber hinaus.

Ganzheitliches Coaching – Potenzial und Realität
Was kann ganzheitliches Coaching leisten – und was nicht?
Es kann:
- Verbindung fördern – zwischen Lebensbereichen, zwischen Körper, Geist und Umwelt
- Ressourcen sichtbar machen, die in Einzelberatungen oft übersehen werden
- Eigenverantwortung stärken, statt Abhängigkeiten zu schaffen
- transparente Zusammenarbeit mit anderen Fachstellen (Ärzten, Therapeutinnen, Ämtern) ermöglichen
Es kann nicht:
- eine medizinische Behandlung ersetzen,
- tiefgreifende Traumata im Alleingang „heilen“,
- als Allzwecklösung für komplexe Lebensfragen dienen.
Ganzheitliches Coaching ist keine Methode, sondern eine Haltung: Offen, vernetzend, erfahrungsbasiert – und niemals abgeschlossen.
Perspektiven: Ganzheitliche Orientierung als gesellschaftlicher Kompass
In einer Zeit zunehmender Krisen (Klima, Gesundheit, Psyche, Gesellschaft) wird deutlich: Fragmentiertes Denken reicht nicht mehr aus.
Was wir brauchen, ist ein ganzheitlicher Kompass, der uns hilft:
- Wechselwirkungen zu erkennen (z. B. zwischen Konsum und Klimawandel, Psyche und Politik),
- Synergien zu nutzen (z. B. zwischen Gesundheitsförderung und Gemeinschaft),
- neue Wege zu gehen (z. B. zwischen Wissenschaft, Ethik und Praxis).
Ganzheitlichkeit ist kein Zustand, sondern eine Bewegung – hin zu mehr Tiefe, mehr Verbindung, mehr Verantwortung.
Fazit und Reflexionsfragen
Der Begriff „ganzheitlich“ ist weder neu noch beliebig. Er ist in seiner Bedeutung uralt – und heute aktueller denn je. Doch um ihm gerecht zu werden, müssen wir lernen, Komplexität zu lieben, Widersprüche zuzulassen, und unser eigenes Denken immer wieder zu hinterfragen.
Ganzheitliche Orientierung ist kein Ziel, sondern ein Weg. Ein Weg, den Du – mit Unterstützung – selbst beschreiten darfst.
Reflexionsfragen zum Abschluss:
Was bedeutet für Dich persönlich „Ganzheit“?
Was fehlt Deinem „Ganzen“ – und wie kannst Du es integrieren?
In welchen Lebensbereichen erlebst Du Verbindung – und wo Fragmentierung?
Welche Rolle spielen Wissenschaft und Glaube auf Deinem persönlichen Entwicklungsweg?
Welche Grenzen möchtest Du nicht länger hinnehmen?
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